2 in 1

28. September 2015

Heute wieder Reiseroutine. Zugfahrt von Jaipur nach Delhi. Alles sitzt wie Kraut und Rüben. Wir haben selbst auch verteilte Sitzplätze und sortieren uns irgendwie dazwischen. Ich verzieh mich auf ein oberes Bett und lese und schlafe. Nachts ist grad schlecht mit schlafen. Ich bin zu aufgeregt. Und langsam gehen mir die Ideen aus, mich zu beruhigen. Da hilft auch kein Familienmantra „Du machst das schon“ mehr. Aber gut. Jetzt erstmal Delhi.

Wir kommen am frühen nachmittag an. Nehmen die Rikscha zum Hotel. Der Verkehr ist speziell. Hier fährt alles durcheinander. Autos, Fahrräder, Rikschas mit Motor und mit Fahrrad betrieben, Eselskarren. Wir sind in Indien. Jetzt auf jeden Fall.

Das Hotel ist nichts wildes, aber ok und günstig. Julia und ich versuchen in ein Zimmer zu tauschen, das nicht nach Rauch riecht. Schwierig, da überall geraucht werden darf. Da können wir auch in unserem bleiben.

Das einzige, was wir heute noch erledigen wollen ist ein übergroßer Hanumantempel nahe unserem Hotel. Das ist der indische Affengott. Und Marc steht total auf den. Als wir aus der Metro raus kommen ist der auch sofort zu sehen. Der ist wirklich mal riesig.

Papa und ich müssen erstmal rauchen. Um uns herum Bettler. Einer fragt nach einer Zigarette. Papa in all seiner Nettigkeit, zückt die Schachtel, gibt ihm eine und sofort(!) stehen fünf andere daneben und halten die Hand auf. Und das ist für mich auch das Hauptproblem in Indien. Wenn man Menschen sieht und helfen möchte, kommen sofort so viele angerannt, dass man im Grunde nicht mehr helfen kann, weil es zu viele sind. Also ist man meist betroffen und kann doch nichts tun. Bei mir hinterlässt es einen Nachgeschmack und macht mich demütig. Uns geht es verdammt gut. Speziell mir im Moment. Ich gönne mir eine einjährige Auszeit. Wir können mit der ganzen Familie reisen. Zurück in Deutschland sind wir versorgt. Staatlich verordnet quasi muss in jedem Haushalt ein Fernseher stehen, gibt es einen minimalen Lebensraum, der jedem gestellt, ja fast schon garantiert wird. DAS sind Probleme…

Der Tempel von innen ist auf verschiedenen Ebenen aufgeteilt und in jeder stehen mehrere Altäre für unterschiedliche Gottheiten. In einem der Räume möchte der wachhabende Inder mit Marc und mir eine Zeremonie abhalten. Marc zieht sich aber irgendwie geschickter und schneller aus der Affäre als ich. Ich mach mit und bekomme am Ende ein Stück Schnurr ums Handgelenk gebunden. Für Liebe und Glück und damit ich einen Mann finde. Och, wie süß, der kleinen Inder denkt also ich bräuchte einen Mann. Na soll er mal. Ich erkläre ihm nicht, dass Frauen in Europa keinen Mann „brauchen“. Das klappt auch gut ohne. Also freundlich lächeln und verabschieden.

Wir beschließen in hotelnähe Essen zu gehen. Unser Viertel ist chillig hippiemäßig. Marihuanageruch wabert durch die Luft. Marc bekommt in kürzester Zeit diverse Angebote. Sieht wohl interessiert aus?! Wir finden eine Dachterrasse, wie gewohnt mit gutem indischen Essen. Und dann sehen wir den blutigen Vollmond. Stimmt. Das war ja dieser Tage. Irgendwas stand da bei Facebook. Sieht irre aus. Und ebenfalls ziemlich groß.

Die halbe Nacht verbringe ich mit Reisplanungen. Ich werd wirklich noch wahnsinnig. Die Infos aus den Zugfahrplänen zu kitzeln, die ich brauche, scheint unmöglich. Der Ashram antwortet nicht. Und ich bin genervt. Außerdem gibt es in dem minikleinen Ort keine Hostels oder ähnliches. Das ist alles nicht wahr hier! Ok, eins nach dem anderen. Morgen erstmal Zugtickets fertig recherchieren und dann weiter Unterkunft suchen. Irgendwas gibt es ja eigentlich immer. Und schlafen müsste ich auch mal wieder mehr als 4 Stunden die Nacht.

29. September 2015

Wir frühstücken gegenüber vom Hotel und beobachten, wie das Viertel erwacht. Schön indischer Alltag hier. So mag ich das.

Mit der Metro geht es in Richtung Jama Masjid, der größten Moschee Indiens und einer der größten der Welt. Für mich egal, wie groß eine Moschee ist, es ist immer wieder ein interessanter Einblick in mir fremde Religion, obwohl ich mir über die Jahre viel von Julia und Marc  habe erklären lassen und zum großen Teil verstehe, wer hier was und warum macht. Ich liebe diese Ruhe und Andächtigkeit. Zu sehen, wie friedlich und in sich gekehrt hier gebetet wird und gleichzeitig zu wissen, wie vorurteilsbehaftet diese Religion ist, bekomm ich gedanklich fast nicht zusammen. Und das allergrößte Gänsehautfeeling für mich, der Gebetsruf. Ich versteh natürlich kein Wort. Macht ja nichts. Heute ruft gerade niemand. Ich beobachte einfach nur.

Die Gassen um die Moschee herum sind das alte Delhi. Eng, schmal, klein und verwinkelt. Männer sitzen zusammen, trinken Tee, reden. Arbeiter liegen schlafend im Schatten auf ihren riesigen Holzschubkarren und warten auf Transportaufträge. Auf den Basaren herrscht geschäftiges Treiben. Es wird eingekauft und angeliefert. Dazwischen Roller, Rikschas, Autos, Menschen. Delhi ist voll. Richtig voll. Die Strassen sind dreckig und staubig. Altindien.

Wir machen eine Kaffeepause und bewegen uns dann weiter Richtung rotem Fort. DAS Wahrzeichen von Delhi. Irgendwie bleiben wir aber an dem grölenden Sikhtempel hängen. Da kommt ja eine Stimmung raus. Darf man da rein?! Ja und wir bekommen eine Führung. Sehr nett. Und Erklärungen für alles was passiert. Noch besser. Sikhismus ist eine mir bisher völlig fremde Religion. Ich dachte immer, das sei eine Abzweigung des Islam. Ist es aber nicht. Vor allem im Norden Indiens verbreitet versuchen sie sich genau von den dominierenden Religionen zu distanzieren. Also auch vom Islam. Im Prinzip machen die Sikh religiöse Weisheiten für den Alltag nutzbar, lehnen soziale Hierarchien ab, genau wie Aberglauben und religiöse Riten. Scheint mir sehr friedlich und vernünftig. Zu dem Tempel gehören riesige Küchen, ein Speisesaal und eben die Gebetshalle. Wer Hunger hat kommt zum Essen zum Tempel und wer Geld hat, zahlt bzw. spendet, was er möchte oder kann. Wir bekommen Tee und lassen am Ende eine Familienspende da. Ich soll unbedingt nach Amritsar zum goldenen Tempel fahren. Das Zentrum der Sikhs. Ja, vielleicht bau ich das ein.

Auf dem Weg zum Fort halten wir beim Vogelhospital. Was sich im Reiseführer so romantisch las, ist leider eine stinkende Vogelaufzucht mit faulen und gelangweilten Mitarbeitern. Wir kürzen unseren Besuch ab. Schön ist anders.

Das rote Fort, eine Festungs- und Palastanlage, gehört ebenfalls zum Weltkulturerbe der UNESCO und ist wieder touristenmäßig überlaufen. Furchtbar. Aber die Anlage ist sehr gut erhalten und weitläufig. Wir lassen uns treiben und stauen. Auch hier wieder unsere Lieblingsbeschäftigung: heimlich fotografierende Inder aufspüren. Am unauffälligsten, wenn sie vom eigentlichen Highlight weg fotografieren. Also beispielsweise mit dem Rücken zum roten Fort. Und irre nervig. Marc verscheucht sie so gut er kann. Aber trotzdem. Sagte ich schon, dass es nervig ist?!

Auf dem Weg nach draußen besorgen wir noch schnell ein indisches Schachspiel. Aus Holz geschnitzt und filigran verziert. Sehr schön. Papa hatte sich vor Tagen dafür begeistert. Und Julia und ich befanden es als passendes Geburtstagsgeschenk für einen lebenslangen Schachspieler. Der steht nämlich in vier Tagen an. Mit schnell war dann allerdings nichts zu machen. Die Verhandlungen waren diesmal recht zäh und mit besonders harten Bandagen. Und weil wir gerade so eine Lauf haben, versuchen wir unser Glück auf dem Basar noch bei den Ganeshfiguren. Ich weiß nicht nach wievielen Läden wir überhaupt welche finden… Dann sind sie häßlich, oder überteuert, oder beides. Das sieht schlecht aus. Und ausser Delhi haben wir nur noch Safari auf dem Plan. Das ist also die letzte Gelegenheit. Julia und ich sind unzufrieden.

Und für heute hat uns Delhi dann auch geschafft. Wir essen auf dem Weg zum Hotel und fallen um. Was für ein Pflaster hier. Das ist wirklich nicht zu vergleichen. Und ich glaube mit Bangkok, New York und Kairo schon die ein oder andere Großstadt gesehen zu haben. Aber Delhi…!? Speziell!

30. September 2015

Nach einer weiteren halb schlaflosen Nacht werde ich heute morgen als aller erstes Zug- und Bustickets buchen. Was wir haben, haben wir. Und da man in Indien für alle privaten Buchungen eine indische Handynummer braucht und ich die immer noch nicht habe, brauche ich eine Reiseagentur. Die sind in jedem Ort massig vorhanden und meist mit Klapptisch und Internet in 3 Quadratmeter großen „Büros“ heimisch. Ich will zuerst wieder nach Süden fahren, in den Bundesstaat Gujarat, mir da ein bisschen was anschauen. Es gibt dort eine riesige Salzwüste, den weltweit größten Schiffsfriedhof (damit hat Marc mich angefixt), die ein oder andere sehenswerte Stadt, indische Löwenreservate, und und und. Es ist einfach etwas fernab der üblichen Pfade und interessiert mich. Danach würde ich gerne über den Westen Rajasthans ins Himalaya. Verschnaufen.

Ich trudele verspätet mit gebuchten Tickets beim Treffen vor dem Hotel ein. Vielleicht geht es mir jetzt langsam mal besser.

Wir starten heute in Neu-Delhi. Die Metro funktioniert in ganz Delhi gut und als wir aussteigen sind wir in einer anderen Welt. Das ist doch nicht mehr Indien?! Alles so sauber und sortiert hier. Ich verstehe langsam. In Delhi prallen zwei Welten aufeinander. Es heißt nicht umsonst Neu- und Alt-Delhi. Es ist auch wirklich so.

Nach unserem Starbucksfrühstück laufen wir ins Parlamentsviertel. Vorbei an englischen Parkanlagen und extrabreiten Hauptstrassen. Alles extrem ordentlich. Weiter geht es zum Gate of India, einem Kriegsdenkmal, bevor wir zum weltgrößten Hindutempel, Akshardham, fahren. Und das ist dann wirklich mal ein Superlativ. Die Anlage ist schon von der Metrostation aus gut sichtbar. Beim Eintritt müssen wir ALLES draussen lassen, außer unseren Wasserflaschen, weil es so heiß ist. Sogar die Feuerzeuge und Zigaretten. Der Sicherheitscheck ist schlimmer als an manchem Flughafen. Die Tempelanlage verströmt allerdings enttäuschender Weise eher indisches Disneylandflair als religiöse Andacht. Erst 2005 eröffnet, wurde er durchdacht bis in die letzte Kuppel. Außer Tempelbesichtigung kann man z.B. auch noch auf dem das gesamte Gelände durchziehenden Fluss Boot fahren oder die  Lichtshow besuchen. Wir beschränken uns auf den Tempel. Die Verzierungen sind unglaublich filigran und fein. Bis unter die Kuppeln, jede Säule, einfach alles. Aber überall merkt man das Durchkonstruierte. Wir lassen das mal auf uns wirken. Im Tempel selbst wird man zügig durchgeschleust. Kann ich ja gar nicht leiden. Ich mag immer lieber mal stehen bleiben und gucken, oder hinsetzen und geniessen. Das ist hier nicht erwünscht. Komischer Verein.

Als wir das Gelände verlassen, schüttele ich immer noch den Kopf. Das ist wirklich sehr speziell.

Auf dem Rückweg fahren wir im Ringerviertel vorbei. Eine etwas schummerige Gegend. Die Ringermannschaften trainieren hier abends und man kann laut Reiseführer zuschauen. Klingt interessant. Vor Ort weiß allerdings niemand etwas davon. Ringer? Irgendwann bekommen wir eine grobe Richtung. Es ist inzwischen dunkel und nicht klar, ob hier überhaupt irgendwer ringt. Nach weiteren ungenauen und unwissenden Antworten drehen wir ab.

Wir wollen noch die kleinen Ganeshas von gestern kaufen. Vielleicht können wir doch noch was am Preis machen. Dann Essen, heute gibt es mal Burger, aber die von der richtig guten Sorte – es lebe der westliche Einschlag in Neu-Delhi- und dann packen. Um ein Uhr kommt unser Fahrer, damit wir zum Sonnenaufgang in Agra beim Taj Mahal sind.

Stressiger Urlaub ist das hier!

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