20. September 2015
Wir fliegen früh. Sehr früh. Oder auch zu früh. Komischer Urlaub. Immer dieses Aufstehen mitten in der Nacht.
Wie gewohnt gibt es auch nur 47 Checks für unsere Tickets von doppelt so vielen Mitarbeitern. In Indien im falschen Flieger zu landen ist schier unmöglich.
Nach ca. zwei Stunden landen wir in Mumbai. Es ist dunstig trübe, Smog liegt über der Stadt. Dazu noch kuschelig warm und die Luftfeuchtigkeit ist bemerkenswert. Um unsere Eltern abzuholen müssen wir den Terminal wechseln. Wie sich herausstellt eine nicht zu unterschätzende Unternehmung. Keiner ist in der Lage uns unfallfrei zu erklären, wo genau der kostenlose Bus abfährt. Wir warten an der vermutlichen Haltestelle. Busse kommen und fahren wieder. Unserer ist nicht dabei. Julia und ich werden nervös. Marc gewohnt entspannt. Ich hasse ihn kurz mal dafür. Wenn unsere Eltern landen und wir nicht da sind kann er mal erleben, was nervös sein heißt. Die zwei Hamburger sind bestimmt furchtbar aufgeregt. Es ist nicht der erste Urlaub außerhalb Europas, aber sie machen sich immer so verrückt wegen ihrem Englisch. Dabei klappt es, wenn wir sie nötigen, ganz gut. Und mit Händen und Füssen kommt man immer irgendwie ans Ziel. Mehr Selbstvertrauen, liebe Eltern. Ihr könnt doch, wenn ihr müsst. Auch dafür ist Indien bestimmt nicht die schlechteste Übung. Nach mehrmaligem Nachfragen kommt der Shuttle und wir dürfen mitfahren, obwohl wir ja kein Flugticket mehr für den nächsten Terminal haben. Kontrolliert ausnahmsweise mal keiner. Und dann warten wir. Und warten. Menschenmassen kommen aus der Ankunftshalle. Nur nicht unsere Eltern. Die machen es aber spannend. Julia und ich trippeln auf der Stelle vor Aufregung. Und Vorfreude natürlich. Nach gefühlten Stunden sind sie endlich da und wackeln mit ihren Backpacks beschnallt auf uns zu. YEAH!!! Großes Geknuddel und Freude. Wir haben uns seit 6 Wochen nicht gesehen, meine Schwester und Marc seit vier Monaten. Kinder, wie die Zeit vergeht. Eben im Mai noch alle in Hamburg, jetzt in Indien.
Wir sind alle noch oder wieder ziemlich verschlafen. Mama hat bis kurz vorm Abflug gearbeitet. Sie braucht erstmal Zeit zum Ankommen. Ja, Du bist wirklich im Urlaub und in Indien. Gefrühstückt hat auch noch keiner so richtig, also geht es erstmal zu Starbucks. Den Weg kennen wir ja jetzt. Und schon 10 Minuten später beim Kaffeeklatsch ist es, als ob wir nie getrennt waren. Ein Geschnatter. Ich bekomm Angst vor dem Abschied.
Nach der Kaffeepause verteilen wir uns auf zwei Taxen. Das wird mit fünf Personen die Herausforderung der nächsten Wochen. Immer zwei Fahrer zum gleichen Zielort lotsen. Aber ich wollte schon immer mal sagen: „Folgen Sie diesem Auto!“ Bekomm ich jetzt ausreichend Gelegenheit zu.
Kurze Zeit später stehen wir im Hotel und lassen den Portier unsere Reservierung suchen. Die ist allerdings unauffindbar. Marc gibt ihm die Nummer vom Reisebüro. Auf Empfehlung hatten wir mit einem indischen Reisebüro vorab Hotelzimmer gebucht und Züge und Bustickets organisiert. Da wir zusammen nur ca. zwei Wochen Urlaub haben, wollten wir die Zeit nicht mit organisatorischem Schnickifax vertrödeln. Allerdings war das Reisebüro nur bedingt flexibel und viele der Stationen und Transfers mussten wir am Ende doch selbst recherchieren. Marc und Julia haben unglaublich viel Zeit und Nerven investiert, aber eine tolle Route ausgearbeitet. Das Reisebüro hatte dann nur das ein oder andere nach Vorgabe reserviert. Und auch dieses Hotel. Das fängt also super an. Der Portier erklärt uns nach dem Telefonat, sie hätten die letzte Woche einen Softwareabsturz gehabt und alle Reservierungen wären jetzt weg und leider auch kein Zimmer frei. Ich überlege kurz, wie das so wäre, wenn bei Griwe nach einem Systemcrash, der quasi ausgeschlossen ist, keine Abrufe für zukünftige Lieferungen mehr da wären. Es gibt Sachen, die dürfen vermutlich nur in Indien passieren. In Europa fehlt uns dafür die Gelassenheit. Wie dem auch sei, es gibt ein nahegelegenes Hotel mit vergleichbarem Standard, teurer, aber den Aufpreis zahlt unser ursprünglich gebuchtes Hotel. Wir organisieren uns Rikschas und fahren ums Eck. Hier läuft alles nach Plan und wir checken ein. Aus finanziellen Erwägungen werde ich abwechseln bei Julia und Marc, das kenn ich ja jetzt schon, und bei meinen Eltern schlafen. Wie ich das so finde, nie allein außer auf dem Klo zu sein, wird sich zeigen. Im Prinzip mag ich allein sein schon ganz gerne. Wäre sonst auch ungünstig, allein auf Weltreise zu gehen. Aber Dauerbespassung?! Und vor allem im Hinblick darauf, danach tatsächlich allein zu reisen. Die Umstellung wird entweder erleichternd oder furchtbar. Aber den Gedanken schiebe ich erstmal weg – zwei Wochen weit weg.
Nach frisch machen und aufhübschen gibt es für heute Nachmittag und Abend nur noch ein kleines Programm als Einstieg. Als Appetitanreger quasi. Julia hat natürlich die Synagoge aufgespürt. Also im Reiseführer. In der Realität gestaltet sich das schwieriger. Wir treiben durch Strassen und Gassen, hin und her, irgendwo muss sie doch sein. Und bekommen so einen ersten Eindruck: wunderschöne koloniale Bauten, verdammt große Ratten in Müllbergen, Strassenstände mit indischem Essen, weniger Verkehr als in Kairo und erstaunlich wenig chaotisch. Wir fragen nach, das machen wir ja inzwischen hobbymäßig, bekommen vage Antworten, suchen weiter. Und sind am Ende schon dreimal daran vorbei gelaufen. Von außen ist sie nicht zwangsläufig als Synagoge zu erkennen. Von innen weiß und hellblau gehalten erinnert sie mich eher an Griechenland als an Indien. Nett anzuschauen und einer dieser ruhigen Orte zum Innehalten.
Wir wechseln die Richtung und machen uns auf zum „Gateway of India“. Erbaut an der Stelle, an der zum ersten Mal ein regierender britischer Monarch indischen Boden betrat und ironischer Weise legten hier auch die letzten britischen Truppen am Ende der Besatzungszeit ab. Es ist DAS Wahrzeichen von Mumbai und da auch noch Sonntag ist Anziehungspunkt für sämtliche Touristen in der Stadt, ob indisch oder nicht. Jeder ist hier. Was für ein Auflauf. Mit Taschenkontrolle und allem drum und dran. Da auch noch Ganesh Chaturthi ist, das Fest zu Ehren des kleinen, dicken Elefantengottes, Herr der Hindernisse, gibt es an jeder Ecke eine kleine Party. Festzelt aufstellen, Ganeshstatue aufbarren, indische Musik laut aufdrehen- fertig. Was für ein Spektakel. Der Blick bei Sonnenuntergang ist besonders schön. Ich versuche zu verstehen, dass wir tatsächlich alle in Indien sind. Klappt noch nicht so ganz. Einatmen, ausatmen, Augenblick geniessen. Hier sein. Ich arbeite daran.
Auf der Suche nach Nahrung schlendern wir an der Bucht von Mumbai weiter. Am Ende macht für diesen Abend ein kleines indisches Restaurant das Rennen. Gekocht wird auf der Strasse, gegessen im Rohbau auf Campingmöbeln. Sieht tatsächlich so aus. Viele indische Gäste – gutes Zeichen. Wir bleiben bei unserer Essenstrategie, ordern ein paar unterschiedliche Gerichte plus Brot und genießen die Geschmacksexplosion. Herrlich…
21. September 2015
Wir frühstücken im Hotel und machen einen Schlachtplan. Auch für die Stadtausflüge haben Marc und Julia alles recherchiert und vorbereitet. Wir müssen nur noch Abstimmen, ob es mit den restlichen Vorstellungen übereinstimmt. Stimmt es. Wunderbar.
Wir nehmen den Zug. Für umgerechnet ca. 25 Cent pro Person. Unglaubliche Menschenmassen wälzen sich durch die Bahnhofshalle. Ich bekomm Platzangst.
Der Zug selbst ist dann das nächste Highlight. Sehr gut belüftet. Keine Türen, Fenster offen mit Stäben davor. Alles aus Metall, keine Polster, viel Dreck. Das ist hoffentlich nur die Variante für den Nahverkehr in Mumbai…
Die erste Station ist eine der Wäschereien von Mumbai. Eine Stadt in der Stadt quasi. Ein abgegrenztes Viertel. Ein Slum. Wobei ein Slum einfach nur eines dieser Viertel ist, in denen sich Menschen zusammen finden, wohnen, z.T. arbeiten, und nicht, unserem Verständnis nach, automatisch ein Armenviertel. Es gibt solche und solche Slums. Wir schauen von der Brücke, die vom Bahnhof aus über das Viertel führt, herunter. Es hängt alles voller Wäsche. Auf den Dächern und dazwischen auch. Sieht frisch und sauber aus. Eine Ecke mit blauen Jeanshosen, die rosafarbigen Hemden hängen alle zusammen, weisse Handtücher, usw. Schuluniformen, Hotelwäsche, Touristengarderobe. Unglaublich, dass am Ende alles wieder seinen Besitzer findet. Dazwischen Menschen, die gerade aufgestanden sind und ihre Morgentoilette erledigen. Wir biegen ab und gehen zum Eingang. Schauen unentschlossen in die wirklich engen Gassen. Wohnzimmer neben Waschküche. Gerade eine Person passt teilweise durch. Uns kommt ein betont lässiger Inder entgegen und winkt ab. Kein Eintritt. Wenn wir rein wollen, müssen wir zahlen. Die spinnen wohl?! Auf der anderen Seite ist das alles aber eben nicht nur Mumbais größte Waschtrommel, sondern auch privater Wohnraum. Dennoch öffentlich. Wir bedanken uns und gehen um das Viertel drum herum. Gibt bestimmt noch einen anderen Eingang. Und tatsächlich. Wir kommen mit einem wesentlich zugänglicheren Inder ins Gespräche, er lädt uns ein, sagt allerdings, nur einer dürfte fotografieren. Kein Problem. Marc bewaffnet sich und wir stiefeln los. Vorbei an riesigen abgemagerten Waschbassins, in denen nach Farben sortiert Wäsche einweicht, zeigt er uns die Bereiche mit überdimensionierten Wasch- und Trockenmaschinen und die Bügelabteilung. Es ist früh, aber alle scheinen bereits auf den Beinen und fleißig. Ein Gewusel. Alle schauen freundlich neugierig. Frauen und Kinder lachen uns an. Wie so oft in Indien. Zwischen all dem Waschküchenflair, etwas abgeschirmt mit Planen gibt es Ecken mit persönlichen Dingen von vllt. 6 Quadratmetern auf denen 25 Menschen leben. Die schlafen entweder in Schichten oder übereinander. Das erste Mal wird mir klar, wie voll Indien eigentlich ist. Der Kollege vom anderen Eingang hat uns zwischenzeitlich auch entdeckt. Motzt rum und weicht uns nicht mehr von der Seite. Unser Guide ist Feuer und Flamme. Wir verschwinden im Gewirr der Gassen. Den Rückweg finde ich jetzt nicht mehr alleine. Als wir wieder am Ausgang stehen bedanken wir uns, geben unserem Guide ein paar Scheine und verabschieden uns. Für uns sind das nur wenige Euros, aber er kann davon ein paar Tage leben. Das hier ist eine ganz eigene Welt. In vieler Hinsicht.
Von hier aus machen wir uns auf den Weg in einem voll ausgenutzten Minibus – 7 Sitzplätze für 12 Personen – zur Haji Ali Dargah Moschee. Kurze Verschnaufpause bei Mumbais angeblich bestem Saftstand, der tatsächlich der Knaller ist. Überhaupt werden Obst und Saft nach dieser Reise nie wieder das Gleiche sein. Dann geht es über eine Art Damm zu Fuss auf die vorgelagerte Insel, auf der die Moschee steht. Sieht fantastisch aus. Ein geschlängelter Pfad durch das Meer. Und zieht natürlich vor allem aber nicht nur Moslems an. Wir werden wieder zum Fotoobjekt. Hatten wir ja lange nicht. Allzu lange dauert der Besuch auch nicht. In der Moschee selbst ist ein Grab und wir wollen weder beten noch spenden.
Auf dem Festland organisieren wir ein Taxi zu den hängenden Gärten. Eine wunderschön angelegte Parkanlage mit Ausblicken quer über die Bucht auf das „Gateway of India“. Hübsch und ein entspannter Stop dazu. Aber was hier hängen soll?!
Zurück in Richtung Hotel geht es mit dem Bus. Wir hätten dann außer Flugzeug alle Fortbewegungsmöglichkeiten durch für heute. Der Hauptbahnhof ist unser nächstes Ziel. Ein koloniales Meisterwerk. Wahnsinnig beeindruckende Architektur. Verschnörkelt und verziert, wo es nur geht. Und die Menschenmassen, die durch die Hallen strömen, wenn ein Zug einfährt, sind gigantisch. Und wenn man still stehen bleibt, gleiten sie einfach ohne anrempeln um einen herum. Witzig.
Von hier aus laufen wir wenige Strassen weiter zu einem der Foodmärkte. Ein z.T. überdachter Marktplatz, auf dem es fast nichts nicht gibt. Obst, Gemüse und lebende Tiere werden verkauft. Gänse, Enten, Küken, Hundewelpen. Ich rede mir fest ein, dass die nur als Haustiere Verwendung finden. Und hinterfrage das nicht weiter. Der Tag hier neigt sich bereits dem Ende zu. Einige Händler sind schon verschwunden, andere packen gerade, vereinzelte Arbeiter liegen im Schatten und dösen vor sich hin.
Wir suchen uns was zum Kaffee trinken und snacken und verschnaufen, bevor es wieder ins Hotel geht. Die Hitze, schwüle und drückende Luft und das ungewohnte Klima schaffen uns. Aber es ist eben auch alles so spannend…
Nach dem routinemäßigen Duschen, das ginge auch problemlos fünf mal täglich, geht der Rest vor dem Abendessen shoppen und ich verzweifle über das unzuverlässige Internet. Ein paar Lebenszeichen nach Deutschland schicken und hören, was es so Neues gibt. Momentan vergeht fast kein Tag an dem irgendwer fragt, wie es mir so geht und wo ich bin usw. Mal schauen, wie lange das noch so bleibt.
Wir essen am gleichen Strassenstand wie gestern. Das Essen war einfach zu gut. Und wie wir inzwischen wissen, haben sie ein oder zwei Strassen weiter auch ein richtiges Restaurant. Da kommen wir heute unter. Auf dem Rückweg geben wir uns in einem ziemlichen Touristenschuppen die volle Schokodröhnung. Fast ausschließlich Schokoladendesserts auf der Karte und wir bestellen alle ein anderes. Wie mach ich das nur, wenn ihr weg seid?! Keiner mehr da zum Essen teilen. Äh…schnell wieder die Verdrängung einschalten!
Zurück im Hotel ziehen Ganesh-Prozessionen durch die Strasse. Das Fest dauert mehrere Tage und in jedem Haus gibt es mindestens einen Ganesh. Der wird an bestimmten Tagen der Festwoche durch die Gegend getragen, oder je nach Größe auch gefahren. Im Kofferraum zum Beispiel und mit viel Musik natürlich. Um das Auto wird auf der Strasse getanzt. In Mumbai sind die Feierlichkeiten übrigens am exzessivsten. Haben wir ein Glück!
Trotzdem müssen wir noch packen. Morgen Mittag geht unser Flieger nach Udaipur. Die Rajasthantour beginnt.