13. September 2015
Guten Morgen, Mumbai. Von oben sieht es gar nicht so indisch wild aus, wie vorhergesagt. Oder sollte ich sagen, wie angedroht?! Fast bin ich ein bisschen enttäuscht… Vielleicht wirkt es auch nur auf den ersten Blick so. Wir überprüfen das nächste Woche, wenn wir ein paar Tage bleiben. Heute müssen wir weiter.
Wir landen und fragen uns zum Terminalshuttle durch. Der Schreck von gestern abend sitzt immer noch, aber das hilft jetzt alles nichts. Langsam macht sich Galgenhumor breit und wir bekommen unsere Fassung wieder. Erstmal haben wir ein Flugzeug zu kriegen und alles andere sehen wir dann vor Ort. So wird’s gemacht.
Die kurze Busfahrt zum anderen Terminal geht unter Brücken durch und an Strassenrändern vorbei an denen Menschen schlafen bzw. gerade ihre Morgentoilette erledigen. Zähneputzen am Strassenrand. Völlig normal, ungeniert und nicht etwa vereinzelt. Kinder laufen ohne Schuhe mit abgewetzten Kleidern rum, wenn sie überhaupt etwas tragen. Schlafplätze werden mit Planen gegen Regen abgesichert. Alles sehr provisorisch und zweckdienlich. Vor allem aber arm. Unübersehbar. Viel Raum für Hab und Gut ist in diesen Behausungen nicht. Für welches auch. Und ich hab mir Gedanken gemacht, wieviel Paar Schuhe ich mitnehme. Was für ein Luxusproblem. Soviel ist jetzt schon klar: wir sind nicht nur in Indien, sondern auch in einer völlig anderen Welt gelandet. Und das ist noch nicht einmal einer der sogenannten Slums. Es wird scheinbar einfach gelebt, wo Platz ist. Auf engstem Raum, ganz der Bevölkerungsdichte Indiens entsprechend.
Die Eigenart indischer Flughäfen bekommen wir am neuen Terminal zu spüren: Man braucht einen ausgedruckten Nachweis für den bevorstehenden Flug (hat Marc gewissenhaft für uns vorbereitet) und den Pass natürlich sowieso um überhaupt das Flughafengebäude zu betreten. Nur mal reinschauen ist hier nicht. Militär ist reichlich da. Dann kann ja nichts passieren.
Da wir uns sicher sind, den entdeckten Starbucks auch von innen betreten zu können, erledigen wir die Eingangsprozedur erstmal. Dann das erste Mal indisches Geld holen. 10.000 Rupien sind ca. 135 Euro. Wie weit kommen wir damit? Keine Ahnung. Ok…ein Stapel Geld also bitte. 10.000 Rupien sind genauso viel, wie es sich anhört. Und ich muss erstmal rauchen. Aber bitte nicht in der Räucherkammer. Die Security am Eingang belehrt uns eines Besseren. Einmal drin, heißt auch, drin bleiben. Das Gebäude verlassen ist nicht gestattet. Also doch Räucherkammer. Ich umzingelt von indischen Männern, die gefühlt das erste Mal eine Frau rauchen sehen. Zumindest kommt mir das gerade so vor. Als wir uns dann zum Starbucks durchschlagen wollen, erklärt der Informationsinder, dass der nur von draußen begehbar ist. Was wäre das jetzt eine Wohltat gewesen. Nach dieser Nacht ein klitzekleiner Zuckerschock mit westlichen Leckereien und frischem Kaffee. Es soll nicht sein. Denn dass wir nicht mehr rausdürfen, wissen wir ja schon. Stattdessen geben wir unser Gepäck auf und lassen die Handgepäckkontrolle über uns ergehen. Mein Feuerzeug darf draussen bleiben und alles, was die indischen Securityguys sonst noch interessant finden, packen Sie einfach aus, komplett, während wir durchleuchtet werden. Sachen gibts… Mein Rucksack kommt auseinander gepflückt auf der anderen Seite an. Ich bin restlos begeistert. Wenigstens sind sie ernsthaft gründlich. Jetzt erstmal frühstücken und warten, denn wir fliegen auch hier verspätet ab. Was soll’s!
Die zwei Stunden Flug verschaffen uns als Versöhnung einen sensationellen Überblick über Indiens Westküste. Ganz schön grün hier. Und ganz schön hübsch. Los, schneller fliegen, ich will jetzt endlich da sein.
Thiruvananthapuram hat, so stellen wir nach der Landung fest, einen minikleinen Flughafen. Unser Plan sieht vor, erst den Zoo zu besuchen, der als Vorlage des Zoo’s für „Life of Pi“ diente, und anschliessend ein Zimmer. Angeblich gibt es laut Reiseführer einen Bus. Wieder viel fragen und die Erkenntnis, angeblich kein Bus, sondern man nehme ein Taxi. Wir wollen nochmal in den Flughafen und uns versichern, ob das mit dem Bus wirklich stimmt. Der Polizist in der Eingangstür hält uns auf. Kein Eintritt. Aber wir sind doch gerade rausgekommen…?! Ja. Aber…er deutet auf die Fliesenkante in der Schiebetür…wenn wir diese Linie übertreten, gibt es keinen Weg zurück. Ich breche gleich zusammen vor Lachen. Er erklärt allerdings im Brustton der Überzeugung, dass das eine furchtbar wichtige Linie ist, dass ich mich nicht traue zu lachen oder ihm zu zeigen, dass ich mit nur einem Schritt mühelos zurück könnte. Ich bin mir sicher, das war sein Highlight der letzten Woche. Mindestens. Das Gute an diesem erheiternden Smalltalk, er kann uns erklären, dass wir ein Prepaidtaxi brauchen. Also vorher bezahlen, mit Fixpreis. Das schaffen wir. Spart uns nachher wenigstens die Verhandlungen.
Am Zoo angekommen verstauen wir unser Gepäck im Cloakroom, die Gepäckaufbewahrung. Damit wir in unseren großen Rucksäcken am Ende keinen Tiger klauen.
Die Anlage ist schön, große Gehege, mit viel Platz, kleine Wege auf denen sich Unmengen Inder tummeln. Sonntag ist anscheinend auch in Indien Familienausflugstag. Wir versuchen zu geniessen und schaffen es auch tatsächlich hin und wieder. Die Tatsache allerdings, dass der Zoo Marcs gewünschter Programmpunkt war und er jetzt durch Abwesenheit glänzt überschattet immer wieder einen sonst sehr feucht-heißen Sonntagnachmittag.
Nach zwei Stunden sind wir fertig und machen uns auf den Weg in die Stadt. Wir hatten im Flugzeug eine Vorauswahl der Hotels getroffen. Im Reiseführer stand einfach, aber sauber und ordentlich. Der Rikshafahrer ist schnell angehalten. 20 Rupien als Basispreis und 10 für jeden Kilometer. Er schmeisst von selbst das Taxameter an. Keine Verhandlungsbasis also. Eine kurze Weile später setzt er uns, nach dem er sich selbst mehrfach durchfragen muss, am Hotel ab und wir versuchen dem schlecht englisch sprechenden und obendrein noch nuschelnden Mensch an der Rezeption zu erklären, was wir wollen. Hände und Füsse reichen kaum zum Erklären aus. Irgendwann sind wir uns trotzdem einig. Er lässt uns ein Zimmer zeigen. Es ist ok, zumal für den Preis und wir erledigen die Formalitäten. Wir verschwinden erstmal in der neuen Bleibe und müssen dringenst duschen!!!
Und das wird dann ein besonderes Erlebnis…zum Einen ist das Zimmer beim genauen Hinschauen nicht sooo doll. Wir haben sogar Ameisen. Ist ja nur für eine Nacht! Dann mufft es auch noch! Wird schon gehen mit Ventilator. Und ist ja nur für eine Nacht! Die Betten sehen fragwürdig aus, wir beschliessen auf unseren Schlafsäcken zu schlafen, nur zur Sicherheit, und es ist ja auch nur für eine Nacht! Das Bad weist leichte renovierungsbedürftige Mängel auf, um es mal nett zu beschreiben. Aber es ist ja nur für eine Nacht! Dass es keine Duschwanne geschweige denn -abtrennung gibt ist jetzt schon zur Nebensache geworden. Toilette, Waschbecken und aus einer Wand kommt ein Hahn und oben drüber ein Duschkopf. Daneben steht ein übergroßer Putzeimer und ein ca. 1 Liter fassender Messbecher. Ich ahne es… Aus dem Hahn kommt die volle Ladung Wasser. Ich stelle um auf Duschkopf: da tropfen, wenn es hoch kommt, 25% der Wassermenge vor sich hin. Ich kann so nicht duschen!!! Und ich will nicht mit Eimer duschen!!! Außerdem: wundert sich eigentlich niemand, wo die restlichen 75% Wasser verbleiben? Das kann doch nicht nur ich komisch finden. Wenn ich mir aber den Duschkopf so anschaue, wage ich die Behauptung dass der in diesem Jahrzehnt noch nicht geputzt wurde. Ich lass dann mal Wasser in den großen Eimer laufen und schütte es mir mit dem Messbecher über. Mund fest geschlossen halten. Sicher ist sicher und schlimmer geht immer. Das Sahnehäubchen der Unannehmlichkeiten auf eine katastrophale Anreise.
Und es soll für heute auch nicht abreißen…
Wir machen uns frisch und gehen in die Stadt. Für morgen brauchen wir noch ein Busticket nach Alappuzha. Wir lassen uns von einem Hotelgast den Weg erklären – der einzige, der verständlich englisch reden kann – und stiefeln los. Dass die Inder bei allen Antworten mit dem Kopf in alle Richtungen wackeln, voll klischeebehaftet, ich weiß, macht es im übrigen nicht einfacher aus den Antworten schlau zu werden. Hunger haben wir auch, brauchen noch Wasser und Julia fehlt der Kulturbeutel. Der war bzw. ist immer noch bei Marc im Rucksack. Und mit allem anderen kann ich ihr zwar aushelfen, aber meine Zahnbürste teile ich nicht! Wir laufen wie erklärt durch kleine dunkle Seitengassen. Hier gleich irgendwo muss der Busbahnhof sein. Ist er aber nicht. Wieder zur Hauptstrasse und jemanden gefragt. Alles klar, geradeaus. Kein Busbahnhof. Weiter fragen. Ach, auf der andere Strassenseite. Also rüber über die achtspurige Hauptstrasse. Hier weiß keiner was von irgendeinem Busbahnhof. Ok, wir zurück zur letzten Ecke, an der wir sicher richtig waren. Und fragen an einem Strassensaftstand – die werden es wohl wissen. Wir fragen erstmal wer englisch kann. Der ältere Herr. Ich plappere los. Er antwortet und ich frage nochmal nach. Ich verstehe nichts. Nochmal fragen. Er fragt daraufhin, ob ICH englisch könnte. Frechheit!!! Vielleicht sollte Euch mal einer erklären, dass es KEIN englisch ist, was ihr hier redet. Und dann noch das ständige Kopfwackeln. WAS WOLLT IHR UNS DAMIT SAGEN??? Ich vermute, sie sind einfach zu schüchtern, um zu sagen, dass sie keine Ahnung haben, wovon wir reden. Aber bevor sie das zugeben, erzählen sie lieber kopfwackelnden Unsinn. (Merke: möglichst offene Fragen stellen! Vielleicht erhöht das die Antwortgenauigkeit.) Für heute und bei diesem speziellen Inder gebe ich auf. Danke und auf Wiedersehen. Wir suchen weiter, fragen weiter und stehen tatsächlich nach über einer Stunde am Busbahnhof, der eigentlich gleich um die Ecke war. Die Herren dort vor Ort erklären uns, dass es keine Tickets gibt. Wir kommen morgen und kaufen dann die Fahrkarte. Und die genaue Abfahrtszeit kennt hier auch keiner. Super Sache!
Wir erledigen unsere Besorgungen und sind selbst total erledigt. Zu müde zum Restaurant suchen. Vor dem Supermarkt ein Strassenstand. Wir haben uns ja schon im dunklen in komischen Ecken rumgedrückt, da können wir das auch grad noch erledigen. Wir gucken uns den Preis ab, den die Inder bezahlen und bestellen zwei Schälchen mit Kichererbsencurry – Julia witzelt, Diarrhoe im Schälchen – mit sonstigem Gemüse und Knoblauch, Koriander und ich weiß nicht was noch alles. Der Verkäufer ist zu unserem Glück so umsichtig, dass er, bevor er unsere Portion abfüllt, noch mehr ungewürzte Kichererbsen untermischt. Zum Neutralisieren. Damit es für uns nicht so scharf ist. Und wie wir dann feststellen, ist das auch gut so. Das Teufelszeug ist verdammt lecker, aber höllisch. Die indische Variante hätte uns wahrscheinlich ohnmächtig werden lassen. (Das geht tatsächlich, da scharf für den Körper das gleiche ist wie Schmerzen. Wahrnehmungs- und reaktionstechnisch. Ja, mein Blog hat auch einen Bildungsauftrag.) Lecker Essen, das haben wir jetzt gebraucht. Geht doch!
Zurück im Hotel veranstalten wir noch schnell einen Beruhigungsskypeanruf in Hamburg. Läuft allerdings nicht zu unser Zufriedenheit. Das Internet!!! Wir schicken ein Beruhigungsvideo. Es lebe die Technik. Von Marc haben wir auch schon Nachricht: Er wird am Donnerstag morgen, irre früh, in Kochi, etwas weiter nördlich an Indiens Westküste, landen. Von dort fliegen wir Sonntag morgen sowieso zurück nach Mumbai, unsere Eltern in Empfang nehmen. War also die einfachste Lösung. Sein Visa konnte er übrigens nach Eingabe der Auftragsnummer im Internet einfach nochmal anfordern und drucken. Gut, dass uns das in Kairo niemand gesagt hat. Mit fünf Minuten mehr Zeit und Ruhe wären wir da auch noch drauf gekommen. Aber vielleicht sollte das hier alles so sein. Wer weiss, wer weiß… Der Ersatzflug ist zu unser aller Freude nicht überteuert, für Marc allerdings eine Anreiseodysse mit mehreren Stunden Aufenthalt in Kuwait. Trotz aller Wendung zum Guten und Marcs absehbarer Ankunft ärgert uns die Inkompetenz der Airportmitarbeiter. Mit Sicherheit ist das ein häufiges Problem bei elektronischen Visa – falsch ausgedruckte Unterlagen. Auf diese Art der Fehlerbehebung muss geschult werden. Ich schreib da gleich mal einen VV drüber (für alle nicht Gestampmitarbeiter, die hier mitlesen: VV= Verbesserungsvorschlag).
Uns reicht es für heute. Wir fallen erledigt ins Bett und beschließen, die Nacht im Gruselhotel so schnell wie möglich weg zu schlafen.