12. September 2015
Obwohl wir erst heute Abend rund um 22h abfliegen, wird das ganz und gar kein Entspannungstag. Nachdem Frühstück noch schnell die üblichen Urlaubsvorbereitungen für die 3-wöchige Abwesenheit in Kairo treffen, packen und gegen Mittag gehts mit dem Taxi Richtung Flughafen. Aber nur grob. Wir halten um eins in einer Wohnsiedlung. Julia und ich haben einen Termin zum tätowieren. Der muss hier irgendwo wohnen. Heute wird einer dieser Tage, für die „was ich schon immer mal machen wollte“ Liste. Nicht immer nur drüber reden, einfach mal machen. Lange überlegt und nie das richtige gefunden, hatten wir letztes Jahr die Idee für ein gemeinsames Tattoo. Ein Versprechen quasi. Falls wir mal Alzheimer bekommen. Und jetzt vor meiner Reise ist der passende Zeitpunkt. Den Entwurf haben wir letzte Woche bekommen.
Das Tattoostudio ist ein gechilltes Künstlerapartement. Um es schön zu beschreiben. Und Timur, der Künstler, gerade aufgestanden, wie mir scheint oder noch reststoned von der letzten Nacht. Hoffentlich Ersteres. Die letzten herumlungernden Freunde, wahrscheinlich auch von letzter Nacht, kehrt er während der Vorbereitungen raus. Seine „Assistentin“, die nach eigener Aussage eine komplizierte, schwierige Beziehung zu ihm unterhält (ja, soll’s geben) macht die Vorlagen. Wir fangen mit mir an. Wenn wir in Zeitnot geraten, lässt Julia ihr Tattoo einfach nach dem Urlaub fertig stehen. Bei mir ist nochmal vorbeischauen ja eher schwierig.
So chaotisch wie die Wohnung aussieht, so sortiert ist überraschender Weise sein Arbeitszimmer. Alles ziemlich profimäßig und ja endlich auch hygienisch. Ich setze mich und bin kurz davor zu kneifen. Mal angenommen er setzt an und ich merke, diese Schmerzen halte ich auf gar keinen Fall aus? Dann hab ich irgendwo am Handgelenk einen minikleinen schwarzen Punkt. Fällt bestimmt keinem auf. Ach Du Schande…was mach ich hier eigentlich…?!?! Timur ist fast fertig und ich kipp vor lauter Aufregung fast vom Stuhl. Er so: Kann’s losgehen?! Ich so: Äh…ja?! Ich dreh den Kopf weg. Und dann geht es wirklich los. Es kratzt und kribbelt ein bisschen. Ich guck auf die Nadel. Aha…so geht das also. Dann zu Julia und Marc (Die stehen bereit, um alles fotografisch festzuhalten.) Ungläubig grinse ich sie an. Nochmal gucken, was Timur so macht. Er setzt ab, und fragt, ob alles ok ist. Und ich frage, ob es das jetzt tatsächlich ist?! Dafür war ich so aufgeregt?! Tja…auch hier mal wieder alles anders als erwartet. Und als mein Körper das auch verstanden hat, entspann ich mich in Sekunden. Der Rest ist dann interessant zu sehen und ich kann es kaum erwarten, dass er fertig wird.
Nach meinem Tattoo kann er uns auch den Preis sagen. Marc und ich holen Geld, während Julia bearbeitet wird. Um 7h sind wir fertig. Jetzt noch schnell was essen. Obwohl Samstag ist landen wir bei TGI Friday. BURGER!!! Yeah, das brauchen wir heute alle nach Stunden der Warterei. Manchmal muss das eben… Und ich stelle fest, wie egal mir schon nach knapp 10 Tagen Wochentage und Kalenderdaten sind. Hihi…
Und dann geht es ab zum Flughafen. Natürlich dauert heute mal wieder alles viel zu lange. Stau in der Einfahrtschneise zum Airport. Wenn man knapp dran ist! Marc erklärt wie immer tiefenentspannt, dass Egypt Air sowieso nie pünktlich abfliegt. Ja, aber was wenn heute doch ausnahmsweise Mal…???
Wir kommen noch halbwegs im Zeitrahmen am Flughafen an. Sicherheitscheck, die Erste! Gepäck durchleuchten. Läuft. Ticket am Selfmadeticketschalter ausdrucken. Läuft nicht. Also doch anstellen. Die Zeit wird knapper… Der Mitarbeiter am Schalter ist nett und druckt unsere Boardkarten aus, fragt nach Rückflugtickets und nach unseren Visa. Wir verstehen. Die Einhaltung der Einreisebestimmungen werden nicht bei Ankunft in Indien geprüft, sondern bereits im Abflugland. Damit umgeht Indien Fortsetzungen von „Terminal“. Ergo kommt man mit fehlenden Unterlagen gar nicht ins Flugzeug. Der Mitarbeiter fängt an zu telefonieren. Ich hab meine Boardkarte schon. Wo hängt’s denn?! Er bittet uns zu warten. Julia und Marc fangen schon die erste Aufregung über Verschwörungstheorien des ägyptischen Geheimdienstes, der in ihrem Leben mittlerweile sehr präsent ist, an. Vielleicht liegt es aber auch an dem fehlenden Visa für ihren Aufenthalt in Ägypten. Das ist nämlich gestellt, aber nicht genehmigt, sondern nur ausstehend. Aber eigentlich sollte das kein Problem sein. Die Zeit läuft. Gegen uns. Der Mitarbeiter geht. Und kommt wieder. Und telefoniert wieder. Und dann erklärt er uns, dass Julia und Marc nur die Bestätigung, dass sie ihr elektronisches Visum gestellt haben ausgedruckt haben, nicht aber deren endgültige Genehmigung. Äh, und jetzt?! Julia und Marc werden hektisch. Wühlen in ihren Emails. Ich werd innerlich panisch. Ich kann nicht allein nach Indien fliegen! Nicht jetzt so spontan und Hals-über-Kopf. Aber drei Flüge verfallen lassen und neu buchen macht noch weniger Sinn. Und passt auch nicht in mein Budget. Wir reden auf den Mitarbeiter ein. Er telefoniert wieder. Mit der indischen Botschaft oder so etwas ähnlichem. Die bestätigen aber leider nur das bereits erklärte. Julia und Marc finden die Emails nicht. Das Internet ist langsam. Und Marcs Simkarte sowieso zu Hause. Er logt sich bei Julia ein. Nichts. Keine Email da. Vor der Abfahrt daheim hatte er alle notwendigen Unterlagen auf den Desktop gezogen und ausgedruckt und alle Emails dazu gelöscht. Ordentlich. Aber leider grad ungünstig. Ich werde unruhiger. Wir fragen den geduldigen Herren, wann der Last-call fürs Boarding ist. Er beruhigt uns mehrfach, obwohl laut meinem Boardingpass schon alles in vollem Gange sein müsste. Ok, er wird es wohl wissen. Die ersten Tränen fliessen. Wir versuchen uns gedanklich zu sortieren und eine Lösung zu finden. Dann findet Julia die Email. Aber nur ihre. Marcs bleibt unauffindbar. Aber ohne Ausdruck geht es nicht. Meine Güte, die sind ja bürokratischer als in Deutschland. Im Untergeschoss des Flughafens ist ein Customer Service Center. Die drucken alles aus. Also schnell gescheite Entscheidungen treffen: Ich versuche das Flugzeug zu bekommen (und ggf. aufzuhalten(?)), Marc übergibt mir alle Reiseunterlagen und den Reiseführer (blöde Idee, Gepäck auf alle Rucksäcke zu verteilen), Julias und Marcs Gepäck wird zur Seite geräumt, meins durchgeschoben, während Julia und Marc nochmal zurück aus dem Sicherheitsbereich und nach unten müssen. Sie laufen los. Der Mitarbeiter hält mir ihre Pässe unter die Nase. Ohne die, kein Raus- und, schlimmer noch, Reinkommen. Ich flitze hinterher. Passübergabe, denn sie dürfen sowieso nicht mehr aus dem Sicherheitsbereich raus. Bitte?! Das müssen sie jetzt allein lösen. Ich muss zum Flieger.
Ich biege um die nächste Ecke zur Pass- und Ticketkontrolle und keine Ahnung, wo die ganzen Menschen herkommen, die hier gerade anstehen, aber auf die kann ich nicht warten. Ich drängel mich durch bis zum Star Alliance Superschnell- Schalter. Die waren ja schon einmal sehr hilfreich. Ich erkläre, dass mein Boarding läuft. Sie schickt mich zur Security. Die winkt mich weiter und schleust mich bei der Passkontrolle ganz nach vorne. Hier fragt die motzige Angestellte nach meiner ausgefüllten Ausreisekarte. Äh ja, die ist jetzt noch nicht ausgefüllt. Während sie genervt den nächsten Fluggast abfertigt, such ich die Karte raus und kritzel unleserlich nur die Hälfte der Infos auf den Zettel. Sie nimmt ihn entgegen, stempelt mich ab und weiter gehts. Der ist anscheinend ganz wichtig, dieser Zettel. Lesen kann darauf niemand irgendwas, soviel ist mal sicher. Und dann, genau, im Sprint zum Gate. Warum ist es immer, IMMER, das letzte, oder zumindest am anderen Ende vom Flughafen?! Ich komme keuchend an, geboardet wird noch nicht, nur die Handgepäckkontrolle ist schon durch. Danke Egypt Air, dass ihr auch heute verlässlich unzuverlässig spät dran seid. Ich frage den Mitarbeiter, ob noch Zeit für eine Zigarette wäre. Er bejaht und ich verschwinde in einer der Räucherkammern. Das ist alles nicht wahr hier. Jetzt mal der Reihe nach: Ich komme in ca. sechs Stunden allein in Mumbai an. Da ich die ersten drei Wochen in Begleitung reise, habe ich mich nur sehr grob mit Indien vertraut gemacht und alles nach dem Motto „plant ihr mal und ich fahr mit, denn ich hab ja danach noch alle Zeit“ total flexibel um mich herum entscheiden lassen. OH-MEIN-GOTT!!! Aber da mach ich jetzt nichts mehr dran. Vielleicht soll das so sein. Muss ja irgendeinen Grund haben. Und man wächst sowieso erst mit seinen Aufgaben. Vielleicht war auch die ganze Panikmache diverser Freunde und Bekannter völlig überzogen, was Indien betrifft. Bestimmt sogar. Ich versuche durchzuatmen und mich mit der überraschenden Wendung anzufreunden. Irgendein kontaktfreudiger Araber quatscht mich zu… Sorry, heute nicht!
Ich sitze schließlich am Gate und texte Julia, dass noch alle Chancen offen sind, sage ihr wie ich mich wo durchgeschmuggelt habe und blättert schon mal im Indienreiseführer. Ok, dann allein. Was möchte ich denn in Indien anstellen…? Eine Viertelstunde später biegt Julia abgekämpft um die Ecke, lässt die letzte Kontrolle über sich ergehen, fällt auf den Platz neben mir und dann öffnen sich alle Schleusen. Die ganze Aufregung und Anspannung fällt von ihr ab. Nach nervenaufreibenden Wochen in Ägypten hatten sie und Marc sich einfach zu lange auf diesen Urlaub gefreut. Ich halte ihr meine Schulter hin, mehr braucht sie grad nicht. Sie fasst sich kurz danach wieder und während wir IMMER NOCH aufs Boarding warten, erzählt sie den Rest vom Abflugtheater: beim 3. Anlauf durfte sie mit Marc wieder aus dem Sicherheitsbereich (ägyptische Willkür), im Customer Service Center wurde alles schnell ausgedruckt, dann wieder oben im Sicherheitsbereich wurde sie nach Gepäckabgabe sogar noch an allen anderen vorbei spezial abgefertigt und legte dann den selben Sprint hin wie ich. Jetzt sitzen wir zu zweit fassungslos da. Der Tag hatte so gut angefangen. Das kann alles nicht wahr sein.
Tatsächlich dürfen wir an diesem Abend doch noch mehr als verspätet ins Flugzeug, kuscheln uns ein, halten Händchen und versuchen uns zu beruhigen und zu schlafen. Wir kommen morgen früh in Mumbai an, fliegen sofort nach Thiruvananthapuram, ganz im Süden Indiens im Bundesstaat Kerala, weiter, haben für morgen keinen Plan und kein Hotelzimmer.
Ok, wir machen das schon. Zu zweit ist man weniger allein. Dann eben Indien mit Julia. Bis Marc kommt. Wenn er kommt. Wann auch immer.
Oh mein Gott oder wer auch immer da oben sitzt – bleib ja an ihrer Seite.
Da kommen einem die Tränen, wir mussten kopfschüttelnd lachen und sind mehr als glücklich darüber, dass wir zwei so starke Mädels haben.
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und das war nur der Anfang…!
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